Texte

Präsentationsansicht, Kunsthaus Essen, 2010

ZWISCHEN DINGEN UND MEDIEN

Das Werk der letztjährigen Gewinnerin des Kunstpreises „Junger Westen”, Susanne Britz, bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Fotografie, Zeichnung, Installation und skulpturalen Elementen. Susanne Britz schafft wuchernde Assoziationsgeflechte aus Zeichnungen, Postkarten, übermalten Prints, Alltagsgegenständen wie Plastikwasserpistolen, Lockenwicklern und farbigen Wäscheleinen, die sich rankend von der Wand in den Raum hineinbewegen. Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist häufig die Zeichnung, mit der eine Idee, eine Form zunächst an Gestalt gewinnt, um in der Folge über weitere Schritte durchdekliniert und farbig variantenreich durchgespielt zu werden. Dabei tauchen zuweilen skulpturale Formen auf, die sich zu verselbstständigen scheinen und sich als dreidimensionale Metamorphosen im Raum wieder finden. Die Wirklichkeit wird zur frei verfügbaren Gestaltungsmasse, die aufgenommen und mit individuellen Deutungen versehen wird.
Schrift erscheint in manchen Fotos, Kommentare wie Tagebuchskizzen, daneben farbige Linien, die ungewohnte Beziehungen zwischen den Dingen herstellen und neu sichtbar machen. Kryptische Nummernsysteme scheinen auf geheime Formeln zu verweisen, mit denen sich die Wirklichkeit kategorisieren lässt.
Das einzelne Werk wirkt dabei wie eine Plattform, von der aus sich ein Assoziationssprung hin zu einem weiteren Knäuel von Bedeutungen und Möglichkeiten der Wahrnehmung wagen lässt. Komplexität und Vielfalt als erkannte Grundlage sämtlicher Lebenszusammenhänge werden durch die Verschleifung und Verbindung der verschiedenen Gestaltungs- und Bedeutungsebenen zur visuell fassbaren Gewissheit.
„Zeichnen”, sagt Susanne Britz, „bedeutet für mich zu formulieren und hierbei den realen mit dem virtuellen, den Innen- mit dem Außenraum zu verknüpfen”. Dies gelingt im Übrigen auch dem Betrachter, der sich auf das dichtmaschige Beziehungsgeflecht einlässt und weniger nach einem verbindlich formulierten Sinn forscht, sondern den Raum zwischen den Dingen zu erkunden sucht.

[Dr. Uwe Schramm, Rede zur Ausstellungseröffnung von Susanne Britz im Kunsthaus Essen, 2010]

Text aus dem Katalog „punktlandung – Susanne Britz“, Blurb, 2015

FORMELZEICHNUNG

In der Arbeit von Susanne Britz fließen verschiedene sich ergänzende Strategien des Analogen und Digitalen zusammen und verhelfen der Künstlerin zu einer eigenen Bildphysik, die ungewöhnliche, zeichnerische aber auch malerische Bilder und Installationen hervorbringt.
Susanne Britz legt in ihren digitalen Zeichnungen zeichnerische Ebenen über ein digitales Foto. Dadurch entstehen in einer Art digitalem Palimpsest-Verfahren neue Bedeutungsebenen.
Die Zeichnungen sind nicht mit Bleistift oder Feder sondern mit einer Computermaus angefertigt, ihr Träger ist kein Papier sondern eine digitale Fotografie.
Mittels der Zeichnung analysiert Britz das digitale Foto, welches häufig eine Art Versuchsanordnung ins Bild setzt und erarbeitet daran deren physikalischen Gesetze.Als Versuchsanordnungen dienen von der Künstlerin inszenierte Stillleben genauso wie im Alltag beobachtete Szenarien, die sie mit der Kamera zum Bild verdichtet und fixiert. Diese Aufnahmen sind von einer alltäglichen Künstlichkeit geprägt, die sich sowohl im Arrangement als auch den verwendeten Gegenständen selber, die unsere technisierte Freizeit- und Trashkultur widerspiegeln, zeigt.
Die  gezeichneten Linien analysieren, kategorisieren, stellen Fragen und paraphrasieren die fotografisch fixierte Versuchsanordnung.Der Strich wirkt krakelig, unruhig – wie mit ungeübter Kinderhand gezeichnet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit einer Computermaus und nicht mit einem  Grafiktablett gezeichnet wird.
Die Maus lässt keine exakten, sauberen  Linien zu. Dieses vordergründige Manko ist jedoch Teil der künstlerischen Strategie. Der Verzicht auf  Perfektion ist Teil der Paraphrase und betont die Wirkungskraft einfacher, elementarer Bildprozesse, die als Akt der Freiheit im Umgang mit technischen Prozessen zu sehen sind.
Die Linien ergeben Parallelen, Kreise und Pfeile aber auch komplexere dreidimensionale Gebilde. Man bekommt den Eindruck, Britz stelle sich das Bild als einen Raum vor, in dem sie Fließrichtungen ausmacht und diese für den Betrachter kennzeichnet.
Das entspricht auch der Schilderung der Künstlerin, die die Form der Zeichnung am Computer eher mit einer Form des blind Zeichnens vergleicht, bei der das Auge durch den digital repräsentierten Raum gleitet, während die Maus diese Bewegung gleichsam als Reflex, fast seismographisch, mitvollzieht.
Britz´ Überzeichnungen schaffen neue Bildräume, in denen sie die physikalischen Gesetze umzuschreiben scheint.Hinweise werden gegeben, bleiben jedoch kryptisch und somit unklar. Hierdurch eröffnet sie einen Freiraum für Interpretation. Somit sind die Arbeiten von Britz ihrer Struktur nach als offene Kunstwerke angelegt.Durch die Farbigkeit der Fotografie und die häufig farbigen Überzeichnungen beinhalten diese Zeichnungen auch sehr malerische Momente. Farben, die auf dem Foto auszumachen sind, werden von der Maus aufgenommen und weiter geführt. Hierbei wird deutlich, dass die Fotografie nun als Zeichnung weiter gedacht, fortgeführt wird.
Bisweilen erinnern die Linien in ihrer Starkfarbigkeit auch an räumliche Markierungen. Der Gedanke des Kategorisierens und Markierens wird auch erneut durch die Wahl der Bildelemente wie Nummern und Buchstaben aufgegriffen.Naturwissenschaftliche Formelsprache wird in einer fragmentarischen Weise zitiert, das zugrunde gelegte Szenario wird dadurch als Versuchsanordnung unbekannten Ausmaßes konnotiert.Dinge hängen, stehen, liegen oder überspannen den Bildraum. Die Zeichnung tritt als eigenartige digital eingeschriebene Gebrauchsanweisung hervor. Diese setzt sich auch in den Installationen von Susanne Britz fort.
Sie entspringen der Zeichnung, schleichen sich in den Raum und geben als Anordnung im Raum das Laborieren wider, welches in den Bildern nicht genug Platz zu finden schien. Die formelhafte Zeichnung leitet den Blick, nimmt mit, verstellt dann aber den Weg, weil keine Formel das Bild erklären will oder kann. An dieser Leerstelle eröffnet sich bei Britz der Raum für eine philosophische Sicht auf die ins Bild gesetzten Dinge.

[Dr. Florian Schaper, Text: Katalog punktlandung/Susanne Britz, 2012 erschien auch der Band: Bildkompetenz – Kunstvermittlung im Spannungsfeld analoger und digitaler Bilder mit einem weiteren Text zur Arbeit von Susanne Britz]